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Folgende Pressemeldung – die ich im Anschluss kommentiere – hat heute SRF im Namen von Pink Cross veröffentlicht. Nach meiner Meinung bagatellisiert Pink Cross gerade mit solchen Meldungen die Gewalt gegen Schwule. Zum Pressetext:

Das Wichtigste in Kürze

  • Fast jeden Tag wird in der Schweiz eine Lesbe oder ein Schwuler wegen ihrer Sexualität Opfer von Gewalt, wie Zahlen von Pink Cross zeigen.
  • Offiziell werden Gewaltdelikte gegen Homosexuelle nicht speziell erfasst.
  • Das soll sich ändern, fordert eine Nationalrätin – und auch der Bundesrat ist im Prinzip dieser Meinung.

Bei den Fällen, die Schwule und Lesben der neuen Helpline von Pink Cross melden, geht es laut Geschäftsleiter Bastian Baumann nicht um Bagatellen, sondern um verbale und physische Attacken. «Leute werden geschubst und angespuckt, andere müssen gar ins Spital, weil sie schwer verletzt worden sind.»

«  Was man nicht erfasst, gibt es offiziell nicht. Und was es nicht gibt, das kümmert die Politik nicht. »

Bastian Baumann
Geschäftsleiter Pink Cross

Insgesamt verzeichnete die Helpline in drei Monaten über 100 Kontaktaufnahmen. Pink Cross hilft den Opfern, die Fälle bei der Polizei zur Anzeige zu bringen. Dort werden diese aber nicht explizit als Gewaltakt gegen Homosexuelle erfasst. Das sei gesetzlich nicht vorgesehen, heisst es bei den Polizeikorps. Man behandle alle Personengruppen gleich – unabhängig von ihrer sexuellen Neigung.

Keine Statistik – keine Opfer?

Für Baumann ist es ein Manko, dass Straftaten gegen Schwule und Lesben nicht speziell registriert werden: «Was man nicht erfasst, gibt es offiziell nicht. Und was es nicht gibt, das kümmert die Politik nicht.»

Die Zürcher BDP-Nationalrätin Rosmarie Quadranti kümmert es doch. Sie hat einen Vorstoss eingereicht, der verlangt, dass künftig in der Kriminalitätsstatistik des Bundes Gewalt gegen Homosexuelle ausgewiesen wird. «Um gute Prävention machen zu können, sind statistische Daten wichtig», sagt Quadranti.

Nationalrätin hakt nach

Auch der Bundesrat ist im Prinzip dieser Meinung, wie er in seiner Antwort auf Quadrantis Vorstoss schrieb. Anfang Jahr hätte eigentlich informiert werden sollen, ob Gewalt gegen Homosexuelle statistisch erfasst werden soll. Passiert ist jedoch bisher nichts. Quadranti will – beunruhigt durch die Zahlen der Pink-Cross-Helpline – in der bald beginnenden Frühlingssession in dieser Sache nachhaken.


Nun einigeAnmerkungen und Fakten zu diesen Aussagen:

Zuallererst hätte ich gerne belegte Fakten für diese Behauptungen. Denn, schon seit Jahren wird mit solchen Zahlen Politik gemacht. Sie wertet damit genau die wirklich Betroffenen ab und macht sie erneut zu Opfer, indem man Gewalt bagatellisiert.

Zunächst einige Beobachtungen:

Nicht jeder der Anruft oder sich per Online-Formular meldet, ist Opfer von Gewalt. Es lässt sich schlicht nicht kontrollieren, da jeder jeden Tag ein Formular ausfüllen könnte.

In diesen Aussagen ist nirgends aufgeschlüsselt, wer weswegen anruft. Z.B. wird nicht ausgewiesen, ob Schwule auch innerhalb der Szene Opfer wurden (obwohl im Formular abgefragt). Ebenfalls wird nicht angegeben, wer die Täter sind (auch dies wurde abgefragt). Die Qualität dieser Veröffentlichung durch SRF ist sehr mangelhaft. Sie übersteigt das Niveau einer Behauptung nicht.

Die Diskrepanz zwischen öffentlich angezeigten Delikten und diesen Meldungen bei Pink Cross müsste unbedingt ausgewiesen, bzw. angesprochen werden. Ich bin ebenfalls sehr dafür, dass künftig Gewalt gegen homosexuell Empfindende von der Polizei statistisch ausgewiesen wird. Dabei sollte unbedingt  die Nationalität des Täters und allfällige häusliche Gewalt erfasst werden.

Statistisch weist Pink Cross  mit diesem Bericht jährlich 400 Opfer innerhalb der Schweiz aus. Wie sieht das z.B. in Deutschland aus?

Am 19.04.16 veröffentlichte der LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland) folgenden Pressetext: „Die Studie zeigt, dass die Benachteiligungen aufgrund der sexuellen Orientierung überdurchschnittlich häufig in der Öffentlichkeit und im privaten Bereich sowie als hate speech in den sozialen Medien vorkommen. Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Transgender sind vielfältig…“  Weiter unten in diesem Text: „Zur Teilnahme hatte auch der LSVD aufgerufen.“

Dieser Pressemeldung bezog sich auf eine Pressekonferenz der „Antidiskriminierungsstelle des Bundes“ in Deutschland. In der repräsentativen Studie, wie der LSVD sie nannte, („Diskriminierungserfahrungen in Deutschland“) heisst es auf Seite 10 aber ausdrücklich: “Eine Analyse für das Diskriminierungsmerkmal der sexuellen Orientierung ist leider nicht möglich, da die Zahl der Personen, die angegeben haben, homosexuell oder bisexuell zu sein, in der Repräsentativbefragung zu gering ist, um verlässliche Aussagen treffen zu können”.

Obwohl der LSVD ausdrücklich zur Teilnahme an dieser Studie aufgefordert hatte, waren die Anzahl Betroffene statistisch nicht auszuwerten.

Schaut man sich die Zahlen derselben Bundes-Stelle aus 2013 an – hier wurden die Selbstanzeigen ausgewertet – sind die Zahlen ebenfalls sehr klein. Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Behinderung, Alter, Geschlecht und Religion ist massiv höher als die Diskriminierung aufgrund der Geschlechtsidentität.

Der Autor des Buches „Schöne schwule Welt – Der Schlussverkauf einer Bewegung“, Werner Hinzpeter, schrieb in einem Interview sehr aufschlussreich (https://quer20.wordpress.com/2015/10/04/hinzpeter/): „Ich hatte einen Job als Redakteur eines schwulen Stadtmagazins aufgegeben und lernte gerade meinen Beruf auf einer Journalistenschule, als Jim Baker mich 1995 fragte, ob ich nicht eine Standortbestimmung der Schwulenbewegung verfassen wollte (oben erwähnter Titel). Das könne ich nicht, sagte ich, ich sei zu wütend. Mich ärgerten Vereine, die lieber eine Statistik frisierten als zuzugeben, dass ihnen weniger schwulenfeindliche Übergriffe gemeldet wurden. Mich ärgerten die schwulen Journalisten, die solche Propaganda ohne die einfachsten Gegenprüfungen verbreiteten. Mich ärgerte damals schon, dass im Kampf für die Homo-Ehe die Bedürfnisse der anders lebenden Mehrheit der Lesben und Schwulen völlig aus dem Blick geraten waren.“

Hinzpeter, selber schwul, wirft also der eigenen Szene und Zunft schon seit über 20 Jahren vor, Zahlen für eine billige Schwulen-Politik zu frisieren. David Berger, Schwulenaktivist und ehemaliger Chefredakteur eines Schwulenmagazins, macht ähnliche Vorwürfe (z.B. hier).

Solche Pressemeldungen verstellen uns die Gesamtwahrnehmung. So predigt Constance Ohms seit über 15 Jahren, man müsse der massiven Gewalt innerhalb der Szene endlich angemessen begegnen. Schaut man sich diese Zahlen dieser Untersuchungen an, beschleicht einem die Frage: Ist am Ende die Gewalt innerhalb der Szene sogar grösser als die medial angeprangerte ausserhalb der Szene?

Literatur dazu:

Warum tust du mir das an? Gewalt in Partnerschaften, Marie-France Hirigoyen, C.H.Beck-Veralg 2006, S. 118

Gewalt in homosexuellen Beziehungen, Ursula Christen, Edition Soziothek 2000

Gegen Gewalt – Ein Leitfaden für Beratungsstellen und Polizei zum Umgang mit Gewalt in lesbischen Beziehungen, Constance Ohms (Hrsg.), Europäische Kommission 2002

Forschungsprojekt Sexuelle Gewalterfahrungen homosexueller Männer – Opfer und Täter, Institut für Psychologie der Universität Potsdam,1999

Gewalt in lesbischen Beziehungen, Martina Scheibling, Fachhochschule Zürich, Diplomarbeit 2005

„UnSichtbar!?“ – Häusliche Gewalt im Leben von Lesben, Schwulen und Transgender, www.vielfalt-statt-gewalt.de, Rubicon Beratungsstelle für Lesben und Schwule, 2008

Häuslicher Gewalt in LBT Communities begegnen, LARS-Projekt (finanziert durch die EU), 2011

LARS – Der Tabuisierung häuslicher Gewalt in Beziehungen von lesbischen/bisexuellen Frauen und TransMenschen begegnen, Dokumentation (gefördert durch EU), 2012

unter http://www.iwwit.de/akzepanz finden Sie die Kampagne für mehr Akzeptanz innerhalb der Szene.

Am Schluss ist es gerade dieser politisch aufgeladene Behauptungs-Journalismus, der die wahren und wirklichen Opfer (egal ob innerhalb oder von ausserhalb der Szene) dafür missbraucht und geringschätzt, ihnen eben damit nochmals Gewalt antut. 

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